Fliegende Herzen auf dem Bildschirm

« Zurück zur Übersicht · Newsbeitrag vom 07.05.2020 - 09:30 Uhr

Hey!

ich wurde gebeten für das Harburger Blatt einen Artikel zu schreiben, wie ich die Corona-Zeiten so empfinde. Was mich bewegt. Was bei mir so passiert. Hier poste ich ihn mal komplett:

Virtuell über den Bildschirm fliegende Herzen sind einfach nicht dasselbe. 

Anfang März saß ich noch mit Freunden bei einem guten Bier. Was war das ein schöner Moment. Wir haben gelacht, Blödsinn geredet, die Politik analysiert und die Welt in unserem kleinen Kosmos verändert - zumindest ein bisschen. 

Und dann kam Covid-19 auch zu uns. Mit den heimkehrenden Skiurlaubern war er da. So weit weg erst. Und jetzt plötzlich vor der eigenen Tür. Plötzlich zu Hause bleiben. Keine Freunde mehr sehen. 

Wie sehr man doch ein Abend in der Kneipe vermissen kann. Wie wertvoll eine Umarmung sein kann. Das Lächeln eines fremden Menschen. Eine Gruppe von Freunden. Gemeinschaft. Leben. Wie einfach ein Einkauf war - ohne Schlange vor der Tür, Handschuhe und Maske.  

Für mich als Musiker ist es grade besonders schwierig. Keine Chance aufzutreten. Natürlich. Online geht. Ein Friseur kann das nicht. Der kann nicht mal eben online Haare schneiden. Ich habe mich auch schon eingereiht in die Garde der Musiker, die online ein Konzert geben. Und es war gut. Es war erstaunlicher Weise richtig gut. Und auch das Feedback war toll. Liebe Kommentare. Aber so schön das war. Und so besonders. Es ist einfach kein Vergleich zu einem Live-Konzert. Mit Menschen. Applaus. Interaktion. Seine Musik zu spielen und in lächelnde Gesichter zu sehen. Mitzuerleben, wie deine Lieder mitgesungen werden. Wie Musik ein Lachen oder Tränen hervorrufen kann. Virtuell über den Bildschirm fliegende Herzen sind einfach nicht dasselbe. 

Ich vermisse es. So sehr, dass es schmerzt. Das hätte ich nicht gedacht. Ich vermisse es meine Sachen zusammen zu packen. Zum Auftrittsort zu fahren. Die Anlage aufzubauen. Die Musikinstrumente zu verkabeln. Soundcheck. Und dann die Aufregung. Dieses Kribbeln vor jedem Auftritt. Immer stärker werdend. So dass ich mich nicht mal mehr richtig mit ankommenden Gästen unterhalten kann. Weil es in mir summt und surrt. Das Herz schneller schlägt. Man die Texte nochmal im Kopf durch geht. Die Akkordfolgen. Die schwierigen Stellen in den Liedern.  Ein bisschen wie betrunken sein. Alles saust an einem vorbei. Verschwommen irgendwie. Und dann die letzten Sekunden. Der Puls rennt. Man angekündigt wird. Die Handflächen feucht sind. Man das erste, am Anfang aufgeregt verzweifelte Lächeln aufsetzt und dann auf die Bühne geht. Das Herz aussetzt. Und dann der erste Ton aus der Gitarre. Ein erstes “Moin”. Der erste BegrüßungssatzUnd dann die freundlichen Gesichter zu sehen. Die Wärme, die in einem hoch steigt. Das Gefühl der Mittelpunkt zu sein in einem Moment, in dem gemeinsam Leben erlebt wird. In dem Emotionen entstehen. Ganz unterschiedliche. Und jeder seine eigenen Gedanken und Gefühle spürt. Alles nur, weil Musik sie/ihn umgibt und berührt. Bewegt. 

Ja. Das vermisse ich. Den Applaus. Die Zwischenrufe. Die lustigen Dinge, die immer wieder passieren. Unvorhergesehen. Und das Ende des Konzerts. Die Zugaben. Die voller Entspanntheit sind, weil man seine Aufgabe ja schon hinter sich hat. Seine Pflicht. Und jetzt die Kür. Man jetzt durch die letzten Lieder fliegt. Getragen wird auf einer Wolke aus GlückEin Raum voller Musik, Lächeln und Energie. Und die Erschöpfung. Am Ende. Das leichte Zittern am ganzen Körper. Wie nach gutem Sex. Und die ersten Umarmungen der Freunde, der Crew. 

All das vermisse ich. So unsagbar. 

Und noch etwas vermisse ich. Meine Kreativität. Ich versinke im Zu-Hause-Sein. Es gibt keine Erlebnisse mehr. Keine Emotionen mehr. Der Tag wird gleichförmig. Einfacher. Kaum noch Spitzen. Eintönig. Und damit unkreativ. Weil man keine Inspirationen mehr bekommt. Weil das Leben nicht mehr um einen herum ist. Weil es keine kleinen Momente mehr gibt, die einen anstupsen. Die Situationen hervorrufen. Wo Texte entstehen. Wo Musik sich in meinem Kopf bildet. Wo Melodien sich um Worte fügen. Ich selbst lächeln muss von wunderbaren Textzeilen, die sich um Akkorde ranken. Wo ich versuche meine Musik aus dem Kopf auf die Tastatur des Klaviers oder die Saiten meiner Gitarre zu übertragen. All das funktioniert nicht. Funktioniert im Moment irgendwie nicht. Weil die Menschen fehlen. Die Gemeinschaft fehlt. Das Leben fehlt. 

All das macht mir Angst. Angst, dass sich jetzt so viele Dinge verändern. Dass Gemeinschaft anders wird. Nicht neu erfunden, sondern gehemmt. Reduziert. Und ich habe Angst, weil ich sehe, wie sehr die Kultur bei all deaktuellen Öffnungs-Diskussionen hintansteht. Wie über alles gesprochen wird. Schulen. Kindergärten. Geschäfte. Firmen. Nahverkehr. Friseure. Therapien. Fußpflege. Restaurants. Kneipen. Aber Clubs? Musik?  

Während sich unser Land langsam wieder öffnet werden reihenweise alle, aber auch wirklich alle Musikveranstaltungen abgesagt. Musik nur noch aus der Dose. Die kreative Kraft von Live-Musik gestoppt.  

Aber das passt. Passt zu der Entwicklung der letzten Jahre. In Zeiten von Netflix und Spotify. Streaming allerorten. Warum vom Sofa aufstehen, wenn doch Musik und Filme wie Strom aus der Steckdose kommen. Beliebig und herrlich ablenkend – wozu irgendwo hinbewegen? 

Aber ich hoffe. Und das tue ich immer. Ich hoffe, dass wir das schaffen. Und ich hoffe, dass die Zwangsabstinenz die Menschen nicht ängstlich gemacht hat, sondern sie mutig macht. Mutig das Leben wieder mehr und nicht weniger zu genießen. Wieder zu sehen, wie wertvoll gemeinschaftliche Erlebnisse sind. Und wie Einsam uns doch Netflix und Spotify machen können.  

Und ich hoffe, dass all die engagierten Menschen überleben. Dass die tollen Clubs und Konzertveranstalter überleben. Und dass die Musiker überleben. Denn es ist schon schwer genug von den kläglichen Eintrittsgeldern zu leben. Und überhaupt als Musiker anerkannt zu werden (ich habe da grade meine ganz eigene kleine Problematik mit dem Finanzamt). So dass es schon bald, vielleicht schon im Sommer, wieder Musik gibt. Live. Mit Emotionen. Und Lautstärke. Oder zarten Tönen. Mit Laune und Tanz. Mit Tränen und Wut. Mit Trauer und Lachen. In der neuen Zeit. Nach Corona.